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Reisebericht Spanien

Fischzucht Hommingberger

Wer von San Sebastián aus der Nationalstrasse 1 Richtung Westen folgt, wird bei Durango ein Hinweisschild auf einen Nationalpark entdecken. Die schmale, gewundene Landstrasse verlässt die Flussebene und schlängelt sich durch das Urumeatal hinauf in die Berge. Atlantik-Küste und Ebene verschwinden hinter den Biegungen des immer enger werdenden Tals.

Kurz vor dem Nationalpark, ohne weitere Hinweisschilder, zweigt etwas ab, an dem der paragraphentrainierte Deutsche reflexartig ein "Durchfahrt verboten"-Schild sucht. Vergeblich. Das ist eine öffentliche Strasse, auch wenn die vom baskischen Dauernieselregen ausgewaschenen Fahrspuren unsere Augen Lügen strafen.

Nach einigen Kilometern langsamster Slalomfahrt um Schlaglöcher, vorsichtigem Durchqueren kleinerer "Badewannen", die sich die allgegenwärtigen Bächlein gegraben haben, und angemessenem Staunens über die atemberaubend vielfältige Flora und Fauna erreichen wir das, was die Einwohner schlicht "ihren Ort" nennen. Es ist eine Ansammlung von Häusern, so wenigen, dass es noch nicht einmal eine Kirche gibt. Einen richtigen Namen hat der "Ort" auch nicht. Aber - natürlich - eine Kneipe.

Hierher hat uns unser Gastgeber gebeten. "Sonst findet Ihr das sowieso nicht!" Erstaunlich! Ist diese Abgeschiedenheit noch zu steigern? Gibt es noch schlechtere Strassen? Walter Hommingberger lacht. "Wir fahren jetzt besser mit meinem Wagen weiter. Lasst Euren ruhig hier stehen. Hier passiert nix, egal, ob Ihr ihn abschliesst oder nicht."

Sein "Wagen" entpuppt sich als alter japanischer 7-Sitzer mit Allrad-Antrieb. Wir räumen Obstkisten und Fischreusen beiseite und verteilen uns systematisch im verbliebenen Chaos. "Ob Ihr Euch anschnallt, ist mir egal. Festhalten müsst Ihr Euch sowieso." Walter Hommingberger gibt eine Probe seines berühmten Humors.

Unser Kontaktmensch in der Stadt hatte uns gewarnt. "Das ist etwas hm... rustikal dort." Stimmt. Langsam klettert der asthmatische Jeep einen Waldwirtschaftsweg weiter die Berge hinauf. Die Landschaft entschädigt uns jetzt schon für die blauen Flecken, die wir erst später bemerken werden. Rechts geht es in einen Abgrund, der an die Alpen erinnert. Dabei sind wir doch erst auf 450 m Höhe? Links verschwinden die Gipfel der Berge in den Wolken.

Walter Hommingberger versichert uns, dass er extra wegen uns noch langsamer als sonst fährt. Wir glauben ihm alles, solange wir irgendwann ankommen. Es dauert. Es rumpelt und knarrt. Wir nutzen die Zeit, ihn ein wenig auszufragen.

In seinem deutlich schlesisch gefärbtem Deutsch mit Einsprengseln von spanischem Akzent erzählt Walter Hommingberger seine Familiengeschichte. Seine Grosseltern waren vor den Nazis von Breslau erst nach Frankreich, dann hierher ins Baskenland geflüchtet. Sie landeten in diesem "Ort" und blieben nach dem Krieg. Sein Vater heiratete eine Frau aus dem Dorf und blieb "erst recht". Die beiden gründeten die Forellenzucht, deretwegen wir hier durch den Wald rumpeln. Walter Hommingberger übernahm den Betrieb 1983 nach dem Tod seiner Eltern und stellte Anfang der 90er Jahre auf biologische Fischzucht um.

"In Deutschland war ich einige Male auf Messen. Es ist ja ganz nett dort. Aber es ist nicht mein Land.", erzählt er. "Hier ist meine Heimat. Dieses Land ist so schön und die Natur so reich, das bietet Euch Euer Schwarzwald nicht." Es muss nicht nur an der hervorstehenden Baumwurzel gelegen haben, über die der Jeep ächzend klettert, dass wir alle zustimmend nicken. Wenn das "langsam fahren" ist: Was passiert, wenn der mal Gas gibt?

"Halt!" brüllt Monika, die Fotografin. "Das glaube ich nicht!" - "Ist schon klar", meint Walter Hommingberger. "Hier wollte ich sowieso halten. Das wollen alle fotografieren." Wir steigen aus und stehen vor einem Steinkreis, formvollendet und unbeschädigt, den wir eher im keltischen Kulturgebiet vermutet hätten. Die Kameras klicken. "Keltisch oder älter ist nicht so ganz raus", sagt Walter Hommingberger. "Diese Gegend ist seit Menschengedenken besiedelt. Man weiss es nicht genau."

Wo sich in Deutschland Hotel an Imbissbude und Busparkplatz an Andenkenladen reihten, stehen hier uralte Zeugnisse menschlicher Kultur still und unbelästigt im Wald rum? "Genau! Und das ist auch gut so." bekräftigt Walter Hommingberger. "Das gehört bei uns dazu. Kultur und Kunst in jeder Form ist hier sehr, sehr wichtig."

Nach ein paar Biegungen um grössere Felsmassive wird der Blick frei auf ein Seitental. Walter Hommingberger hält wieder an. Er sagt nichts. Ist auch nicht nötig. Wir steigen aus und bestaunen und fotografieren dieses Paradies.

Ein Fluss hat sich in Millionen Jahren ein Bett zwischen den Bergen Richtung Meer gesucht. 200 m unter unserem Standort fand er einen Spalt zwischen den Felsmassiven und erweiterte ihn stetig. Jedoch reichte es nie für einen kompletten Abfluss der Wassermassen. Es bildete sich ein kleiner, gekrümmter, natürlicher Stausee mitten zwischen den steilen, dicht mit Bäumen und Büschen bewachsenen Hängen. Auf der anderen Seite der Felsen erobert er als rauschender Wasserfall das tiefergelegene Tal.

Als wir es schaffen, unsere Köpfe vom Tal weg zu Herrn Hommingberger zu drehen, lächelt er. "Ongi etorri", grüsst er auf baskisch. "Herzlich Willkommen!"

Im ersten Gang, ohne Gas, rumpelt und klappert der Jeep die steilen Kurven hinunter ins Tal. Wir haben unsere Welt verlassen. Wie weit mag es dorthin sein? "Luftlinie sind es etwa 20 km zum Atlantik und knapp 30 km nach San Sebastián", sagt Walter Hommingberger. Es ist nicht zu fassen. Er redet eigentlich vom Golf von Biskaya. Aber das sieht hier aus wie die Schweiz?!

Fast unten im Tal, rumpeln wir auf eine Lichtung mit einem grossen Haus aus Natursteinmauern und massiven Fachwerk. "Ongi etorri!" grüsst Walter Hommingberger nochmals. "Das ist mein Heim. Bleibt, solange Ihr wollt!" Wir haben keinen Zweifel daran, dass er das auch genau so meint. Wir klettern aus dem Jeep und sortieren unsere Gliedmassen.

Eine Frau tritt aus der Tür. "Das ist Kristina, meine Frau." stellt Walter Hommingberger vor. "Ongi etorri! Bienvenudo! Willkommen!" sagt die schlanke, mittelgrosse Frau mit den tiefliegenden schwarzen Augen und reicht uns die Hände. "Kommen Sie herein! Kaffee ist fertig." Ihr Deutsch hat diesen sympathischen, seltenen Akzent deutschsprechender Basken.

Nach dem dritten Kaffee beschliesse ich, den Block mit meinen vorbereiteten Fragen im Koffer zu lassen. Was ein Deutscher hier eigentlich macht, brauche ich nicht zu fragen. Die Gründe sind offensichtlich, sobald man aus der Tür tritt. Aber wieso ausgerechnet Forellenzucht? Und was sind "Gepardenforellen"?

Die Hommingberger­s lachen herzhaft. "Es wird Zeit für eine Betriebsführung!" sagt Kristina. "Haben Sie sich schon vom Fahrstil von mein Mann erholt?" - "Was ist mit meinem Fahrstil?" Die Augen von Walter Hommingberger blitzen. "Nichts, gar nichts!" - "War prima!" - Alles in Ordnung!" beruhigen wir ihn.

Wir treten vor die Tür - und sehen die Sonne hinter den übernächsten Bergkämmen untergehen. Die Farbenpracht ist unglaublich. Monika sucht verzeifelt einen frischen Film. "Deshalb..." murmele ich. "Genau!", bestätigt Walter Hommingberger.

Wir stolpern Walter Hommingberger auf einem steilen Weg zum Seeufer hinterher. An einem kleinen Landungssteg liegt ein Boot mit Aussenborder. Wieder muss einiges an Kram weggeräumt werden, bis alle reinpassen. "Wollt Ihr es schnell oder schön?" fragt Walter Hommingberger. Ich sehe den Aussenbordmotor, sehe die Ruder, sehe ihn nochmal an, und ergreife ein Ruder. Er strahlt. "Du hast das verstanden!"

Gemütlich rudern wir Richtung Seezufluss. Walter Homingberger beginnt mit seiner Führung. Es ist nicht so, als hätten in den Flüssen dieser Berge nicht schon immer Forellen gelebt. Eigentlich lebt in dieser Gegend alles, was nicht mit Gewalt daran gehindert wird. "Einschliesslich Menschen", sagt Walter Hommingberger und lacht diesmal nicht. Das Land ernährte seit Jahrtausenden seine Leute. Erst mit Beginn der Industrialisierung strömten mehr Menschen in die Gegend, als mit Ziegenhaltung und Ackerbau auf den teilweise kargen Böden zu ernähren waren. Auch der Fisch- und Walfang konnte die zugewanderten Arbeitermassen im Baskenland nicht mehr zuverlässig ernähren.

Also begannen die Basken, die Erzeugung von Lebensmitteln zu optimieren. "Darin sind wir Meister: Optimierung. Seit Jahrhunderten schauen wir, wie die Anderen das machen. Wenn es erfolgversprechend aussieht, passen wir es auf unsere Gegebenheiten an." Wir staunen. "Wir?". Walter Hommingberger denkt nicht lange nach. "Doch, ja. Wir! Ich bin schon lange mehr Baske als Deutscher."

So studierten und optimierten sie auch die Lebensbedingungen domestizierter Flussfische. Nun ist ja die Forelle eigentlich ein Fisch, der fliessende Wässer bevorzugt. "Stimmt!" sagt Walter Hommingberger "Das war eines der Probleme. Und es ist nie komplett beseitigt worden." Die wilden Forellen schwimmen gern und oft aus dem See flussaufwärts. Besonderes zur Paarung und zum Laichen. Aber das ist das Besondere an der Spezies, die es hier wohl früher schon gab, und die Hommingberger senior weiterzüchtete: Die Gepardenforelle.

Wir sind am oberen Ende des Sees angekommen, klappen die Ruder ein, und treiben langsam auf das Ufer zu. Schweigen sollen wir nun. Nahe der Stelle, wo der kleine Fluss in den See mündet, knirscht das Boot sachte auf dem Ufersand und liegt still.

Monika hält die Kamera bereit. Walter Hommingberger grinst. Wir starren auf die Mündung wie in einem schlechten Hollywood-Film. Nach einer Weile zuckt Monika. "Klick". Sie dreht sich zu uns um und flüstert: "Aber das war doch eine ganz normale Forelle?!" - Walter Hommingberger grinst, gibt dem Boot einen Schubs und setzt sich wieder hin. Wir ergreifen die Ruder. "Was dachten Sie denn? Sollen Gepardenforellen einen Kopf wie Raubtiere und und ein Fell wie mein Hund haben?" "Aber woher kommt der Name Gepardenforellen?" frage ich. "Ich weiss es nicht!" versichert Walter Hommingberger. "Im spanischen und baskischen heissen die genauso. Mit dem Aussehen kann das wohl kaum zusammenhängen."

Wir schauen uns verblüfft an. Offensichtlich hat sich die Fahrt gelohnt. Aber sollen wir hier jetzt Forellen fotografieren, die so aussehen wie andere bekannte Arten auch? "Langsam!" sagt Walter Hommingberger "Diese Sorte ist schon etwas Besonderes, wenn auch weniger in optischer Hinsicht."

Forellen im Allgemeinen seien anspruchsvoll, wenn es um Wassertemperatur und -Qualität geht, erklärt er. Sie lieben eben normalerweise kaltes, mehr oder weniger schnell fliessendes Wasser. Sie seien auch in der Lage, sich springend in kleinen, felsigen Flussbetten aufwärts zu bewegen. Nicht so sportlich wie die Lachse, aber immerhin.

In fast stehenden Gewässern wie einem Stausee fände man wilde Forellen selten und nie dauernd. "Ausser den Gepardenforellen. Und an dem Punkt setzte Franz Hommingberger, mein Herr Papa, an!" Wie das?

Der alte Franz Hommingberger hatte ebensowenig Lust, dieses Land wieder zu verlassen, wie sein Sohn Walter jetzt auch. Was er vorfand, war eine reiche Natur und ein Seitental mit einem See, für das sich niemand interessierte, es sei denn, junge Leute trafen sich im Sommer zum Schwimmen oder ein Angler fand den Weg über den Berg.

In diesem See gab und gibt es bis heute verschiedene Süsswasserfische. Was aber auffiel, war der hohe Bestand an Forellen, die sich erstaunlich lange darin aufhielten, ohne Sehnsucht nach dem Gebirgsfluss zu bekommen. Offensichtlich hatte die Evolution hier eine Spezies hervorgebracht, die sich in diesem ruhenden, aber sehr klare Seewaseer wohlfühlt. Franz Hommingberger befragte die Einheimischen, die dies bestätigten. Die "Gepardenforellen" seien so.

Franz Hommingberger wagte den Versuch, Gepardenforellen in grossen Reusen in der Nähe der Flussmündung zu halten. Es gelang. Nach einigen Rückschlägen vermehrten sich die Gepardenforellen sogar, sofern er die Reusen geschickt platzierte. Seine Forellenzucht wurde zum Erfolg und zur Sensation am Fischereihafen von San Sebastián.

Noch einige Schläge mit dem Ruder, und wir erreichen eine der Reusen. Sie sind tatsächlich noch geflochten und ähneln in keiner Weise den in norwegischen Fjorden üblichen "Tanks". Sie sind bis zu 2000 Kubikmeter gross, aber immer so geformt, dass sie sich an die Gegebenheiten des Ufers anpassen. "Sonst vermehren sich die Gepardenforellen nicht." sagt Walter Hommingberger. "Die Tiere brauchen einerseits Platz, andererseits Winkel und Ecken zum Rückzug."

Aber wir sind doch in einem Land, in dem es im Sommer sehr heiss und trocken werden kann. Wie geht eine Fischzucht mit solchen Reusen mit wechselnden Wasserständen um? Walter Hommingberger lacht schallend. "Bitte versteht den Unterschied zwischen Spanien und dem Baskenland. Auch meteorologisch! Wir haben hier fast immer Regen. Und selbst wenn es unten im Tal und an der Küste sommerlich heiss ist: Die Berge hier sind dermassen voll mit Wasser, dass immer genug Zufluss für diesen See vorhanden ist. Deutliche Änderungen beim Wasserstand gibt es hier fast nie."

Was ist denn an diesem Betrieb "biologisch"? "Na, einfach alles!" betont Walter Homingberger. "Wie soll ich denn hier anders als biologisch wirtschaften?" Einmal im Jahr kommt ein zugelassener Kontrolleur und schaut in alle Ecken und Winkel. "Das gibt immer eine lange Fachsimpelei. In Spanien gibt es nur wenige Fischzuchtbetriebe. Biologisch arbeitet sowieso keiner von denen."

Worin besteht denn der Unterschied zwischen konventioneller Fischzucht und biologischer? "Fahren Sie doch mal nach Norwegen! Dann sehen sie die Fischfabriken!" Wir machen uns Sorgen um den Blutdruck von Walter Hommingberger. Die Unterschiede bestehen im System der Haltung und vor allem in der Fütterung. "Ich füttere schlicht gar nicht!" Walter Homberger breitet die Arme aus. "Die Gepardenforellen fressen, was ihre Artgenossen seit Jahrmillionen fressen. Sie finden es im See. Biologischer gehts nimmer!"

Ich drücke Walter Hommingberger ein Ruder in die Hand. Das wirkt. Wir machen uns auf den Rückweg. Die Sonne ist inzwischen komplett hinter den Bergen verschwunden. Wie gross ist dieser See eigentlich? "Jaja! Ich weiss! Das täuscht. Der ist mal gerade 1.200 m lang und an der breitesten Stelle 150 m breit." Und wie tief? Walter Hommingberger seufzt. "Fragen Sie die jungen Kerle aus dem Ort. Die tauchen hier manchmal um die Wette."

Wir legen wieder am Bootssteg an und helfen Walter Hommingberger, seinen Kram wieder ins Boot zu räumen. Auf dem steilen Weg zum Haus hoch fragen wir uns schon wieder, wie der Mann das in der Geschwindigkeit schafft.

Kristina Hommingberger steht wieder in der Haustür. "Wäre Gepardenforelle im Mandelkranz jetzt recht?" Der Tisch ist schon gedeckt. Ein guter Valle de peñas steht bereit. Das Feuer knistert im offenen Kamin. Können wir jetzt mal bitte ein eiziges Klischee auslassen?

Walter Hommingberger beeilt sich, zu erklären, dass es immer noch einen Geschmacksunterschied zwischen domestizierten und wilden Gepardenforellen gäbe. "Hier auf den Tisch kommen nur die Wilden, die ich selbst fange!" Nanu? Sind die aus der Zucht denn nicht gut genug? "Doch! Klar! Aber die wilden Gepardenforellen sind besser. Sie werden es immer sein. Die gezüchteten Gepardenforellen sind für den Export."

Und wieder haben wir ein Stückchen Baskenland verstanden.

© Text: Rainer Kersten
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Diese Reise wurde gesponsort von der Pizzeria da Paolo.

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